"Cthulhu": Unsterbliche Pflanzen


Angeregt von der dreiteiligen Artikelreihe "
Unsterbliche Kunst" des hervorragenden Cthulhu–Mythos-Blogs Omnia exeunt in mysterium und inspiriert durch eine Meldung auf SPIEGEL ONLINE, hier nun ein florales Triptychon cthulhuoider Provenienz.

Zum Verständnis des zugrunde liegenden botanischen und genetischen Phänomens vorab einige hoffentlich allgemeinverständliche Anmerkungen.

Die hier vorgestellten Pflanzen erreichten ihr hohes Alter aufgrund einer pflanzenphysiologischen Strategie, der vegetativen (sprich: ungeschlechtlichen) Vermehrung. Sie sind, für sich genommen, ein Kollektiv genetisch identischer Pflanzen, die unter der Erde beispielsweise über ein Rhizom (Sprossachsensystem, das nicht mit einem Wurzelsystem zu verwechseln ist) verbunden sind oder waren. Dieses Kollektiv wird Genet (griech. geneá 'Abstammung') genannt und bildet sozusagen ein Klonkollektiv (englisch: Clonal Colony). Bemerkenswert dabei ist, dass diese Überlebensstrategie ebenfalls bei Bakterien und Pilzen (!) zu finden ist. (Bei einem positiven Leserecho dazu vielleicht in einem späteren Artikel mehr.)

Angesichts des hohen Alters der hier vorgestellten Pflanzen wurde zusätzlich zur Beschreibung eine kurze erd- bzw. menschheitsgeschichtliche Einordnung vorgenommen. Das begünstigt vielleicht den Zugang zur Bedeutung dieser botanischen Phänomene. Eventuell erleichtert es auch ihre Verwendung durch -- wie es auf Omnia exeunt in mysterium so trefflich heißt -- "inspriationshungrige Spielleiter".



Jurupa-Eiche, Jurupa Mountains, Kalifornien, USA
Alter: ca. 13.000 Jahre

(Das Bild stammt von SPIEGEL ONLINE.)

Die
Jurupa-Eiche ist ein Busch, der zur Spezies Quercus palmeri (auch als Palmer’s Oak bekannt) gehört.
Wissenschaftler haben das Alter des Busches anhand unterschiedlicher Methoden auf etwa 13.000 Jahre festgesetzt. Diese enorme Lebensdauer erreichte das Gewächs durch fortwährendes Klonen. Seine ursprüngliche Art, sich durch Samenbildung (Eicheln) fortzupflanzen, hat die Pflanze über die Jahrtausende eingestellt. Stattdessen nutzt es die in der Region Kaliforniens ebenfalls seit tausenden von Jahren regelmäßig auftretende Buschbrände zur Vermehrung. Sobald ein Buschfeuer das Blattwerk vernichtet hat, sprießen aus dem sehr feuerresistenten Stamm neue, sehr langsam wachsende Triebe.


(Radiointerview mit Jeffrey Ross-Ibarra,
assistant professor of Plant Sciences at University of California, Davis)


Unter anderem mit Hilfe der Dendrochronologie
errechneten Wissenschaftler das Alter (ca. 13.000 Jahre) der kürzlich entdeckten Jurupa-Eiche. Der radikale Klimawandel, der sich seit dem Ende der so genannten "letzten Eiszeit" vollzogen hatte, zwang die Jurupa-Eiche, ihren ursprünglichen Standort zu verändern. Sie überwand in ihrem bisherigen Leben einige Höhenmeter und ist derzeit auf knapp 400 Meter über Normalhöhennull anzutreffen. Geduckt zwischen zwei große Granitbrocken in einer schmalen und steilen Klamm richtet sich das 25 Meter in nördliche Richtung lang gestreckte und 8 Meter breite immergrüne Eichengebüsch knapp 1 Meter in die Höhe. Es trotzt so bereits seit dem Tarantium (Jungpleistozän) (ca. 125.000 bis ca. 10.000 v. Chr.) starken, kalten Winden, Dürren und dem Feuer.

Aus der Sicht der Archäologen stammt die Jurupa-Eiche aus dem Jungpaläolithikum (40.000 bis 9.600 v. Chr.). Durch viele Knochen-, Werkzeug-, und Kultur-Funde ist dieser Zeitabschnitt der eurasischen Altsteinzeit recht gut dokumentiert. Für den nordamerikanischen Kontinent sind vergleichsweise wenige Funde vorhanden. Die nordamerikanische Frühgeschichte kann für diesen Zeitraum aber den Arlington Springs Mann (und die Arlington Springs Frau) vorweisen, dessen Kultur in diesem Zeitraum an der kalifornischen Küste lebte. Diese Paläo-Indianer jagten Mastodonten, Wollhaarmammuts, Kamele, verschiedene Ochsenarten, Säbelzahnkatzen und Riesenfaul- bzw. -gürteltiere. Die Jurupa-Eiche überlebte sie alle. In einem sehr engen Zeitraum vor ca. 10-11.000 Jahren starben mindestens 17 Gattungen der nordamerikanischen Megafauna aus. Ob die in den 1960er Jahren erarbeitete
Bejagungs- bzw. Ausrottungs-Hypothese oder die Klima-Hypothese zutrifft oder ob gar der Asteroideneinschlag vor ca. 12.000 Jahren im heutigen Kanada für das Aussterben der eiszeitlichen Megafauna verantwortlich war, ist bis heute unklar. Fest steht, die Jurupa-Eiche sicherte mit einer simplen wie nachhaltigen Strategie bis heute ihr Überleben.


(Fernsehbericht, KABC-TV, Los Angeles, California)


King's Lomatia, Bathurst Range, Southwest-Nationalpark, Tasmanien
Alter: mind. 43.600 Jahre

(Das Bild stammt von Wikipedia.)

Die King's Lomatia (oder auch King's Holly genannt) ist ein Silberbaumgewächs (zu denen unter anderem auch die Macadamia zählt). Seine einzelnen Rameten („Klongeschwister“), also die kleinste lebensfähigen Einheiten eines Genets, sind zwischen 2 und 8 Meter hohe, recht dürre, meist aufrecht wachsende Sträucher. Das Klonkollektiv besteht heute nur noch aus weniger als 500 Pflanzen, die über eine Fläche von 1,2 Kilometern an einem Hang in den Höhenlagen von 80 bis 280 Metern wachsen. King's Lomatia ist, im Gegensatz zur Jurupa-Eiche, ein Endemit. Umgangssprachlich bedeutet das, dieser Strauch ist einzigartig, er kommt weltweit nirgendwo sonst vor!

Entdeckt wurde Lomatia tasmanica, so ihr botanischer Name, 1934 von dem tasmanischen Pflanzenjäger Charles Denison 'Deny' King (1909-91) im Gebirgszug New Harbour Range. Da der Bestand sich nicht in der Blüte befand, konnten Experten anhand der gesammelten Blätter zwar feststellen, dass es sich um eine bisher unbekannte Art handelte, mehr aber auch nicht. Eine spätere Expedition zum Standort fand den Strauch dann als erloschen vor.

Erst 1965 entdeckte King einen zweiten und bis heute einzigen Standort 5 Kilometer westlich des ersten unweit von Cox Bight im Southwest-Nationalpark. Der genaue Ort wird bis heute zum Schutz der Pflanze geheim gehalten. 1967 endlich konnte die Pflanze dann bestimmt werden. Zu Ehren von Deny King wird sie im Englischen meist King's Lomatia oder King's Holly genannt. Mit einem Parlamentsbeschluss stellte man die stark gefährdete Pflanze 1995 unter Schutz. Bemerkenswert ist, dass bis zum Jahr 2005 über ein Dutzend Rameten der Pflanze an verschiedenen Orten der Welt (London, Tasmanien, Australien) in Gefäß-Kulturen gezogen wurden. Sie waren zum Teil in einem schlechten Zustand, weil King's Lomatia ein sehr anspruchsvolles und empfindliches Gewächs ist. Seit August 2009 versuchen nun die Royal Tasmanian Botanical Gardens, King's Lomatia zu klonen. Das Ziel von 50 neuen Pflanzen ist beinahe erreicht.

Erdgeschichtlich stammt King's Lomatia ebenfalls aus dem Tarantium (Jungpleistozän) (ca. 125.000 bis ca. 10.000 v. Chr.). Menschheitsgeschichtlich hat die Pflanze ihren Ursprung im Mittelpaläolithikum (300.000 bis 40.000 v. Chr.). Ein 1991 gefundenes fossiles Blatt der Pflanze deutet jedoch darauf hin, dass sie auch weitaus älter sein könnte. Leider konnte eine genetische Verwandtschaft zum noch lebenden Klon bisher nicht nachgewiesen werden.

Bis gegen Ende des Mittelpaläolithikum existierte zwischen dem australischen Kontinent und der heutigen Insel Tasmanien noch eine Landbrücke. Auf dieser Halbinsel siedelte sich vor knapp 40.000 Jahren das indigene Volk der Tasmanier (Tasmanian Aborigines) an. In der Region Cox Bight, also dem Standort der King's Lomatia, lebten bis Anfang des 19. Jahrhunderts die Nachfahren der Gruppe der Needwonnee, die zum Stamme der Tugi gehörten. Das Volk der Tasmanier, das quasi über die gesamte Lebensdauer der King's Lomatia den gleichen Lebensraum teilte, wurde in einem grausamen Genozid, genannt Black War, binnen weniger Jahrzehnte Anfang des 19. Jahrhunderts während der britischen Kolonisierung Tasmaniens vollständig vernichtet. Die Tasmanier lebten bis dahin von und mit den endemischen Tier- und Pflanzenarten des Landes. Und da sie keine Technologie zur Besegelung des Meeres entwickelten, führten sie ebenfalls eine sehr isolierte Existenz.


Pando, Fish Lake, Fishlake National Forest, Utah, USA
Alter: mindestens 80.000 Jahre

(Das Bild stammt von Wikipedia.)

Pando oder auch The Trembling Giant genannt, ist das Klonkollektiv einer einzigen männlichen Amerikanischen Zitterpappel (Populus tremuloides). Auf einer enormen Fläche von 43 Hektar (43.000 Quadratmeter, das ist die Fläche von sechs! Spielfeldern der Allianz Arena in München) in 2697 Meter über Normalhöhennull befinden sich etwa 47.000 Stämme der Clonal Colony. Das Gewicht der gigantischen Pflanze wird auf etwa 6.615 Tonnen (6,615 Millionen Kilogramm, das sind etwa 4.000 Fahrzeuge der E-Klasse von Mercedes-Benz) geschätzt.

Da es sich bei dem Klonkollektiv um eine einzige männliche Pflanze handelt, kann diese sich als Windbestäuber nicht vermehren. Sie ist also auf andere Strategien wie zum Beispiel die Wurzelbrut angewiesen. Doch mit dieser extrem langsamen Methode wäre Pando niemals so großflächig geworden. Wie die Jurupa-Eiche in Kalifornien nutzt Pando in Utah die auch hier seit tausenden von Jahren regelmäßig auftretenden Waldbrände zur Vermehrung. Erst vor wenigen Jahren erkannte man, dass das Verhindern oder Eindämmen dieser natürlichen Brände den Bestand von Pando wesentlich gefährdet. Darum ging man dazu über, diese Waldbrände nur noch zu kontrollieren statt sie zu bekämpfen.

Der Name "Pando" stammt übrigens aus dem Lateinischen und bedeutet "ich breite mich aus". Pando wurde in den 1970er Jahren von Burton V. Barnes, einem Wissenschaftler der University of Michigan, entdeckt. Barnes war seinerzeit der Experte für die Amerikanische Zitterpappel.

Wie King's Lomatia stammt Pando erdgeschichtlich ebenfalls aus dem Tarantium (Jungpleistozän) (ca. 125.000 bis ca. 10.000 v. Chr.). Menschheitsgeschichtlich hat auch diese Pflanze ihren Ursprung im Mittelpaläolithikum (300.000 bis 40.000 v. Chr.). Allerdings sind sich die Wissenschaftler heute noch nicht einig, ob Pando nicht vielleicht doch viel älter sei, Barnes selbst vermutete, dass ein Klonkollektiv dieser Pflanze problemlos über 1 Million Jahre alt werden könnte!

3 Kommentare:

Stefan | 31. Dezember 2009 um 01:24

Vielen Dank für die Credits! Aber dieser feine Artikel muss sich nirgendwo verstecken! Sehr lesenswert!

Gerade naturwissenschaftliche Anregungen lese ich immer sehr gerne, denn dass ist auch was Cthulhu mMn von 0815-Gruselgeschichten unterscheidet. Hat HPL ja selbst auch ähnlich gehalten. ;-)

Was (Schleim)Pilze angeht findet sich ja etwas im ehrwürdigen Abenteuer "Knarrende und Windschiefe Haus" (in: Kinder des Käfers). Würde mich daher auch über weitere Artikel in dieser Reihe hier freuen!

Am eindrucksvollsten finde ich glaube ich Pando, aufgrund der reinen Größe des Organismus'. Auch das Prinzip der Klonkolonie ist faszinierend! Doch, gerne mehr davon.

tentakeligen Gruß
Stefan

P.S.: Eine winzig kleine Bemerkung hätte ich doch noch, nur damit keine Missverständnisse aufkommen: Durch reine "Zählung" von Jahresringen wird man schwerlich 13.000 Jahre zurückrechnen können. Dazu müsste man ja einen tatsächlich so alten Stamm haben.

Stattdessen arbeitet man hier mit dem hochfaszinierenden Verfahren der "Dendrochronologie", bei dem man sich die Einzigartigkeit eines jeden Jahresringes zu Nutze macht. Einfach mal nachschlagen, sehr interessant!
;-)

Stefan | 31. Dezember 2009 um 01:33

Nachtrag zum Nachtrag: Oder noch einfacher - man rechnet die Wachstumsrate hoch bis zur momentanen Größe! Manchmal ist Gutes eben doch so einfach. ;-)
Lest dennoch mal was zur Dendrochronologie. ;-)

Weltenschieber | 1. Januar 2010 um 17:33

@ Stefan: In Bezug auf HPL sprichst Du mir aus der Seele. Das war es von Anfang an, was mich bei HPL fasziniert und gefesselt hat und weswegen ich ihn noch heute immer wieder lese.

Danke für Dein Lob und auch die Anregung! Ich habe den Artikel ein wenig korrigiert und ergänzt (Radiointerview und Fernsehbeitrag).

Zur speziellen Altersbestimmung bei der Jurupa-Eiche gibt es ein ausführliches Paper als pdf, das ich bereits im Artikel verlinkt hatte, hier aber noch mal darauf hinweisen will:
http://www.rilab.org/pubs/assets/oaks.pdf

Weitere wissenschaftliche Artikel zur Jurupa-Eiche (der Aktualität wegen) findet ihr hier:
http://www.newscientist.com/article/dn18324-ancient-clone-saw-out-the-last-ice-age.html

http://www.latimes.com/news/nation-and-world/la-sci-oak23-2009dec23,0,2005264.story

http://news.discovery.com/earth/ancient-tree-jurupa-oak-california.html

Iä! Iä!
Der Weltenschieber